Cover
Titel
Body, Capital, and Screens. Visual Media and the Healthy Self in the 20th Century


Herausgeber
Bonah, Christian; Laukötter, Anja
Reihe
Media Matters
Erschienen
Anzahl Seiten
348 S.
Preis
€ 115,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Stefan Zahlmann, Institut für Geschichte, Universität Wien

Der von Christian Bonah und Anja Laukötter herausgegebene Sammelband ist ein überaus gelungenes Beispiel für die Implementierung der Funktionsprinzipien des zeitgemäßen historisch-kulturwissenschaftlichen Denkens in eine interdisziplinäre und international ausgerichtete Veröffentlichung. Die elf Beiträge dieser Publikation verbinden verschiedene Aspekte, die einem Spannungsfeld zugeordnet werden können, das sich aus Perspektiven der Kultur- und Sozialgeschichte des Körpers, Medienwissenschaften, Gesundheitspolitik und Wirtschaftsgeschichte ergibt. Die immense Vielfalt an inhaltlichen Positionen und Ergebnissen, die vor diesem Hintergrund an konkreten thematischen Beispielen deutlich werden, macht den Sammelband in seiner Gänze zu einem höchst anregenden und lesenswerten Text.

Es ist eine besondere Leistung der Herausgeber:innen, die räumliche Perspektive des Bandes mit Gesellschaften der westlichen Moderne (Frankreich, England, Deutschland – inklusive der Deutschen Demokratischen Republik – und den Vereinigten Staaten von Amerika) klar zu benennen und diese in ihrer Wirkung auch auf global agierende Institutionen erkennbar werden zu lassen. Der wissenschaftliche Diskurs auf den menschlichen Körper ist derzeit durch diese westliche Moderne geprägt (ebenso wie viele mediale, ökonomische und soziale Diskurse), und es wird in einer Reihe von Beiträgen deutlich, dass die damit einhergehenden Implikationen die Lebenswelten von Menschen in anderen Gesellschaften nicht immer adäquat erfassen. Der Band verweist durch seine stets kritische und reflexive Perspektive auf potentielle Bruchstellen in scheinbar „normalen“ Konzepten von Körpern, die zum Ausgangspunkt innovativer neuer Vorstellungen über den menschlichen Körper und die kulturellen und wissenschaftlichen Formen des Umgangs mit ihm werden dürften.

Durch diese Positionen, die eigentlich die Logik des letztendlich eurozentrischen, jedoch global wirksamen wissenschaftlichen Denkens und Arbeitens in Frage stellen, lässt der Band eine wissenschaftskritische Unterströmung erkennen: ein Unbehagen an der vermeintlichen Selbstverständlichkeit der eigenen, ursprünglichen Aufgabenstellung. Dem wird nicht nur durch die kritischen inhaltlichen Positionen Rechenschaft getragen, sondern auch durch die formale Gestaltung jedes Beitrags selbst. Man merkt vielen dieser Texte an, dass das Medium „Schrift“ nur unzureichend in der Lage ist, die Vieldeutigkeit der dargestellten Probleme angemessen zu diskutieren. Dies ist vor allem erkennbar, wenn es sich hierbei um Phänomene handelt, die aus dem Kanon etablierter körper- und medienwissenschaftlicher Texte herausfallen oder durch die Hinzunahme anderer theoretischer Perspektiven eine neue Gewichtung erhalten. Hierin dürfte womöglich ein Grund gesehen werden, dass jeder Beitrag mit Standbildern filmischer Quellen eingeleitet oder im Text begleitet wird, auf die sich dann im weiteren Verlauf des Beitrags immer wieder bezogen wird. Diese Bilder sind keinesfalls bloße Illustrationen, sondern visuelle Referenzpunkte der Argumentation. Sie öffnen die Perspektive der Autor:innen zugleich auch den Vorkenntnissen und der Neugierde möglicher Leser:innen, die damit (gleichsam im Sinne John Fiskes) zu Produzent:innen eigener Lesarten dieser Texte werden.

Bei weitem nicht selbstverständlich, daher besonders lobenswert: Der Sammelband ist in seinen theoretischen Positionen auf der Höhe der Zeit, und dies nicht nur in der lesenswerten Einleitung. Die in den Texten in ihrer wechselseitigen Bezugnahme deutlich werdenden Positionen zu Körpern aus Medien, Kultur, Wirtschaft, Medizin etc., die den Körper in seiner Wahrnehmung und individuellen wie gesellschaftlichen Wirkung erst erzeugen und umgekehrt durch diese Konstruktionen selbst erzeugt werden, treten immer wieder neu als Gewebe aus Macht- und Bedeutungszuweisungen hervor. Die Grenzen des Körperlichen erweisen sich als Schnittpunkte eng verwandter oder vermeintlich deutlich voneinander getrennter Diskurse über den Menschen.

Angesichts des beschränkten Raums einer Rezension ist es unmöglich, die Ergebnisse der der einzelnen Beiträge in ihrer Komplexität abzubilden. Stattdessen kann darauf verwiesen werden, dass sich der Körper in diesem Band in der Vielzahl miteinander rivalisierender Perspektiven (die sich nur unzureichend als wirtschaftliche, soziale, politische und medizinische Perspektiven bezeichnen lassen) als grundsätzlich nicht-feststehendes, sondern nicht zuletzt in historischer Perspektive immer wieder neu zu definierendes Konzept erweist. Einige Beiträge lassen in diesem Zusammenhang die Spannung aus traditionellen und modernen Konzepten deutlich werden. Etwa wenn in Anja Laukötters Beitrag der sozialistische Körper den des kapitalistischen Bürgertums ablöst, der kranke Körper die moderne Medizin in einen Konflikt zu traditionellen Heilmethoden gestellt wird (Jean-Paul Gaudillère) oder der weibliche Körper zum Gegenstandsbereich der künstlerischen Arbeit wird (Sophie Delpeux).

Vielfach sind die Körperkonzepte emotional ergreifend, die in den filmischen Beispielen vorgestellt werden. So beispielsweise bei Zoe Druicks Beschreibungen der rassistisch wirkenden medizinischen Behandlung von Menschen auf Haiti und Thailand, der visuellen Ikonografie des Zika-Virus (Kirsten Ostherr) oder den Inszenierungen des sportlichen Körpers. Dass das neue Medium Fernsehen geradezu eine audiovisuelle Zeitenwende in der Diskussion und Präsentation von Körperlichkeit im unmittelbaren Lebensumfeld bedeutete, zeigen die Beiträge von Timothy M. Boon, Karen Lury und Christian Bonah; der Befund gilt gleichermaßen auch für die aktuelleren, digitalen Auseinandersetzungen mit Körperlichkeit.

Bei diesem Sammelband handelt es sich keineswegs um einen der berüchtigten „bunten Blumensträuße“ zufällig zum gleichen Thema arbeitender Autor:innen, sondern vielmehr um eine sorgfältig zusammengestellte und edierte Veröffentlichung. So treten die Beiträge untereinander in einen spannungsvollen Dialog. Zudem ist erkennbar, dass die individuellen Positionen der Leser:innen, die aus den Bildern der jeweils einleitend angesprochenen Filme – oder aus der Kenntnis des filmischen Materials selbst – subjektive Positionen zu denen der Texte beisteuern können, den Herausgeber:innen willkommen sind. Sie laden dazu ein, diesen Sammelband zum Beginn weiterführender, eigener Studien zu machen.

Der kreative Spagat, den sich die an dem Buch beteiligten Personen stellen, ist es, die dimensionale Tiefe visueller Körperdarstellungen und ihrer zahllosen sozialen, ökonomischen und kulturellen Implikationen in das Medium „Schrift“ zu übersetzen, das zudem in der besonderen Lesart der wissenschaftlichen Publikation zusätzliche formale Anforderungen mitzudenken zwingt. Ich habe noch nie einen Sammelband gelesen, in dem mit dem beschränkten Instrumentarium der schriftlichen Darstellung die Grenzen der Schriftlichkeit, wenn schon nicht überwunden, so doch, nicht zuletzt unter Zuhilfenahme der erhofften, kreativen Lektüren der Leser:innen, in so überzeugender Weise sichtbar und problematisierbar gemacht werden konnten wie in dieser Veröffentlichung. Es ist an dieser Stelle kaum möglich, in angemessener Form die zahlreichen Perspektiven und ihre Überschneidungen zu würdigen, derer sich Christian Bonah und Anja Laukötter nicht nur bewusst sind, sondern die sie leidenschaftlich in ihrem erkenntnistheoretischen Potential verteidigen. Wenn die bedeutungstragenden Begrifflichkeiten in den Beiträgen dieses Bandes immer wieder neu präzisiert werden, so werden sie immer auch, auf Basis elaborierter theoretischer Ansätze, in ihrer jeweils aktuell bedeutungstragenden Erscheinungsweise neu miteinander verbunden und in ihrer Interdependenz verdeutlicht. Zusätzlich treten die einzelnen Beiträge für die interessierten Leser:innen miteinander in einen Dialog, da die Erkenntnisse aus dem einen Text in den anderen übernommen werden oder ein weiterer Text vermeintliche Gewissheiten aus vorhergehender Lektüre irritiert.

Die eindringlichen Beschreibungen und die vorgestellten Screenshots lassen natürlich vor dem Verständnis, dass der Körper bereits an sich ein Medium ist, den Gedanken aufkommen, wie produktiv eine zeitlich weiter gefasste und nicht allein im Medium Text geführte Diskussion der in diesem Band vorgestellten Kulturgeschichte des Körpers sein könnte. Dies ist jedoch kein Desiderat, das den an diesem Band beteiligten Autor:innen angelastet werden sollte, sondern verweist auf den inspirativen Charakter der Lektüre selbst, auf Funktionsprinzipien des zeitgemäßen historisch-kulturwissenschaftlichen Denkens in einer interdisziplinären und international ausgerichteten Veröffentlichung. Die elf Beiträge dieser Publikation verbinden verschiedene Aspekte, die einem Spannungsfeld zugeordnet werden können, das sich aus Perspektiven der Kultur- und Sozialgeschichte des Körpers, Medienwissenschaften, Gesundheitspolitik und Wirtschaftsgeschichte ergibt. Die immense Vielfalt an inhaltlichen Positionen und Ergebnissen, die vor diesem Hintergrund an konkreten thematischen Beispielen deutlich werden, macht den Sammelband in seiner Gänze zu einem höchst anregenden und lesenswerten Text. Zwar ist der Preis für das Hardcover sehr hoch ausgefallen, aber eine wirkliche Barriere stellt dies zum Glück nicht dar: Parallel gibt es ein E-Book, das im Netz kostenlos abrufbar ist.1

Anmerkung:
1https://www.jstor.org/stable/j.ctv12sdvgj

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